Amid bloody tears (Unter blutigen Tränen)

Das wilde Kurdistan - ein Land, von dem einst schon Karl May träumte. In dieser unwegsamen Gebirgsgegend zwischen Osmanischem und Persischem Reich entwickelte sich die 5000 Jahre alte Kultur der Kurden. Sie waren in Stämmen organisiert, sprachen 3 verschiedene Sprachen und unzählige Dialekte und gehörten zum Teil dem Islam, zum Teil der alevitischen Religion an.

Heute sind die Kurden mit über 30 Millionen Menschen weltweit das größte Volk ohne eigenen Staat. In der Türkei wird ihre Kultur negiert; es gibt keine Kurden mehr, nur mehr Türken. 1934 wurde ein Gesetz erlassen, das die Zwangsumsiedlung von Bevölkerungsgruppen rechtfertigt, die nicht mit der nationalen türkischen Kultur verbunden seien.

Mit der Dorfidylle in Anatolien ist es vorbei. Seit 1979 werden regelmäßig Razzien des türkischen Militärs in kurdischen Dörfern durchgeführt. 3500 Dörfer wurden seither zerstört. Seit 1984 kämpft die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, einen erbitterten Guerillakrieg gegen das türkische Heer. Bilanz dieser Auseinandersetzung: 30.000 Tote, davon 5.500 Zivilisten. 3.5 Millionen Kurden wurden zu Flüchtlingen. Wer nicht wegen des Verdachts der Unterstützung der PKK im Gefängnis landet, fristet sein Leben in Zeltstädten, ohne Hoffnung, ohne Ausweg.

Die Gewalt ist Alltag in dieser atemberaubenden Kulisse aus Tausend und einer Nacht. Die Nervosität vor den Wahlen und dem angehenden Hauptprozeß gegen Öcalan ist fühlbar. Immer wieder kommen Sicherheitsbeamte und Polizisten auf uns zu, um uns das Filmen zu verbieten - selbst in den Touristenzentren.

Nicht nur Kurden, auch manche Türken machen sich Gedanken über die Ungleichbehandlung der Völker und Sorgen über die Eskalation der Gewalt. Viele wollten verständlicherweise nicht vor die Kamera. Aber dann trafen wir hier die junge türkische Filmemacherin Yesim Ustaoglu, deren neuester Film "Reise zur Sonne" sich genau mit dieser Problematik auseinandersetzt. Die mutige Regisseurin wurde für dieses Werk im Februar in Berlin mit dem Preis für den besten europäischen Film ausgezeichnet. "Reise zur Sonne" erzählt von der Freundschaft zwischen einem Türken und einem Kurden. Schauspieler vom Mesopotamischen Kulturzentrum sind in Hauptrollen zu sehen. Während der einjährigen Drehzeit gab es immer wieder Schwierigkeiten mit der Polizei.

Protestiert wurde auch hier, im Menschenrechtszentrum von Istanbul. Mit einer kleinen Digitalkamera schlichen wir uns zu dieser Untergrund-Pressekonferenz. Künstler und Vertreter von Kulturzentren beklagten den de-facto-Ausnahmezustand in ihrem Land, den alltäglichen Terror des Staates gegenüber der oppositionellen Presse, der Kunst und den Radiosendern. Der Nationale Sicherheitsrat, der an der Spitze des Regimes steht, habe verlautbart, alle Kulturzentren gänzlich schließen zu wollen. Ihre Vertreter protestierten in einem gemeinsamen Schlußkommunique´ gegen die Versiegelung ihrer Veranstaltungssäle.

Einen anderen mutigen Weg geht der Cartoonist Ender Özkahraman. Der 30jährige kurdische Zeichner vollführt eine ständige Gratwanderung zwischen Selbstzensur und dem humoristischen Anpacken durchaus heikler Themen.

Eine heile Welt zu inszenieren, versuchen auch die Kurden trotz aller Repressalien - wenigstens bei ihren privaten Festen. Sie nehmen uns auf Umwegen mit an den Stadtrand, wo eine echte kurdische Hochzeit stattfindet.

OT Kizilkaya: "Mir ist es ein Anliegen, zu betonen, daß Europa sich in dieser Frage nicht richtig verhält. Die europäische Haltung bezüglich der Kurdenproblematik ist höchst scheinheilig. Wahrscheinlich sind die Kurden das einzige Volk auf dieser Erde, das die eigene Sprache nicht frei benützen und in der eigenen Sprache nicht schreiben kann. Das sollte doch das natürlichste Recht sein. Was kann Europa dazu tun? Es müßte mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln Druck ausüben, damit die Regierenden dieses Landes einen echten Rechtsstaat akzeptieren   und die elementaren Rechte der Kurden anerkennen.
Wir wollen mit unserer Sprache leben, mit ihr schreiben und lesen, mit ihr lachen und weinen. Dafür sollten die Menschen doch keinen Terror anwenden müssen, dafür sollte doch niemand sterben müssen ?!"

So nah sind sich hier Europa und Asien. So nah sind sich hier auch Schönheit und Angst, Kultur und Unterdrückung, Leben und Tod. Die Kurdenfrage ist zu einem Prüfstein für die Türkei und für ganz Europa geworden. Wenn demokratiepolitische Überlegungen als Argument versagen, werden vielleicht wenigstens leere Souveniershops und das Ausbleiben von Touristen den Staat davon überzeugen, daß eine Lösung nur im Miteinander der Kulturen liegen kann.

 

 

 

 

Credits

Produced 1999
Directed by Monica Ladurner
Director of Photography: Hermann Kurasch
Duration: 30 min.

back to images

Links

Wikipedia: Kurden
Kurdistan: Wege zum Frieden
Die Kurden Frage: Geschichte und Gegenwart